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Aktuelle Diskussion zur CO2-freien/ -reduzierten Stahlproduktion

Das Thema der Stahlproduktion ist komplex und erfordert sowohl unternehmerisch als auch politisch einen klaren Kopf. Die Stahlversorgung in Deutschland steht vor erheblichen Herausforderungen, die durch globale Marktbedingungen, technologische Veränderungen und politische Entscheidungen beeinflusst werden.

Aktuelle Situation

Für die Stahlverhüttung importieren deutsche Hersteller heute bereits Kohle und Eisenerz aus dem Ausland. Als Industrieland hat Deutschland den Anspruch auf hohe Netto-Löhne, was die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Stahlproduktion beeinflusst.

Herausforderungen und Strategien zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit

Die Wettbewerbsfähigkeit kann nur durch höchste Effizienz und Effektivität bei hoher Qualität und hoher Lieferfähigkeit erreicht werden. Dazu gehören:

- permanente Steigerung der Effizienz: Durch hohe Kompetenz der Mitarbeiter und den Willen zur permanenten Produktivitätsverbesserung, idealerweise mittels Lean Management nach dem Toyota Produktionssystem. Besonders in der Eisenverhüttung ist eine hohe Mitarbeiterkompetenz notwendig, um komplexe Prozesse zu steuern und die Qualität zu sichern.

- Einsatz hoher Automatisierung: Die Notwendigkeit hoher Automatisierung als Basis für höchste Produktivität ist essenziell. Durch den Einsatz modernster Automatisierungstechnologien können Prozesse optimiert, Kosten gesenkt und die Qualität verbessert werden.

- Erhöhung der Effektivität: Durch den Einsatz der effektivsten Prozess- und Produktionstechnologien.

- Hohe Qualität und Lieferfähigkeit sicherstellen: Die Sicherstellung hoher Qualität und hoher Lieferfähigkeit ist entscheidend, um Kundenanforderungen zu erfüllen und sich im Wettbewerb zu behaupten.

- Optimierter Einkauf: Durch den besten Einkauf mit optimalen Handelskonditionen für den Import von Eisenerz und zukünftig Wasserstoff. Hierbei muss der Staat dafür Sorge tragen, dass die notwendigen Handelsabkommen und die besten Rahmenbedingungen mit den Ländern der Eisenerzlieferanten, Wasserstofflieferanten usw. aufgebaut und sichergestellt werden. Eine aktive Rolle der Politik ist notwendig, um stabile und vorteilhafte Handelsbeziehungen zu gewährleisten.

Abhängigkeiten und Risiken

Es ist wichtig, die Abhängigkeiten von anderen Ländern zu beachten. Wer kann im Spannungsfall Stahl liefern? In diesem Kontext könnte Schweden als EU-Mitglied eine entscheidende Rolle spielen, da es über eine bedeutende Stahlindustrie verfügt.

Dynamisches Umfeld und Komplexität der Aufgabe

Da wir uns in einem dynamischen Umfeld befinden und es sich systemisch definiert um eine komplexe Aufgabe handelt (siehe Cynefin-Modell), erfordert die Situation ein schrittweises Vorgehen mit einer kontinuierlichen Risiko- und Chancenanalyse. Im Gegensatz zu komplizierten Aufgaben, bei denen Lösungen definiert sind, erkennt man bei komplexen Aufgaben erst im Nachhinein, welche Entscheidungen richtig waren. Daher ist ein adaptiver Managementansatz notwendig.

Strategische Optionen

Unter diesen Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob Unternehmen und eine unternehmerisch denkende Gesellschaft eine Vorwärtsstrategie verfolgen oder eine Auslaufstrategie wählen sollten.

- Vorwärtsstrategie: Investition in neue Technologien und Produktionsmethoden, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies könnte die Entwicklung und Implementierung von CO₂-armen oder CO₂-freien Technologien beinhalten, wie zum Beispiel die Nutzung von Wasserstoff in der Stahlproduktion oder den Einsatz von Carbon Capture and Storage (CCS). Sollte sich jedoch die internationale Wettbewerbssituation zu Ungunsten Deutschlands entwickeln, könnten die Ergebnisse der in Deutschland entwickelten Anlagentechnologie und Prozesstechnologie vermarktet werden. Deutsche Unternehmen könnten ihre Expertise im Anlagenbau und in Prozessinnovationen international anbieten.

- Auslaufstrategie: Im Falle des Ausstiegs könnte Eisenschwamm (direkt reduziertes Eisen) importiert werden, wodurch die nachfolgenden Arbeitsschritte in Deutschland verbleiben. Der Vorteil wäre eine höhere Lieferfähigkeit gegenüber einem Walzwerk im entfernten Ausland, und es würden weiterhin Arbeitsplätze in der nachgelagerten Wertschöpfungskette einigermaßen gesichert. In diesem Kontext könnte ein frühzeitiger Ausstieg nach dem Motto "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" sinnvoll sein. Dies bedeutet, dass ein geordneter Rückzug und die Umstellung auf andere Geschäftsmodelle unter Umständen besser sein können, als an einer langfristig unvorteilhaften Situation festzuhalten.

Kreislaufwirtschaft und alternative Produktionsmethoden

Parallel dazu gewinnt die Herstellung von Stahl aus Stahlschrott im Rahmen der dynamischen Kreislaufwirtschaft an Bedeutung. Diese Methode ist energieeffizienter und umweltfreundlicher. Angesichts der Komplexität der Aufgabe und des dynamischen Umfelds müssen alternative Herstellungsmöglichkeiten regelmäßig durch intelligente Risiko- und Chancenanalysen bewertet werden. Dieses iterative Vorgehen entspricht den Prinzipien des Cynefin-Modells für komplexe Systeme und ermöglicht es, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und optimale Entscheidungen zu treffen.

Alternative Herstellungsverfahren

Es gibt verschiedene alternative Herstellungsverfahren, die in Betracht gezogen werden können, um die Stahlproduktion nachhaltiger und effizienter zu gestalten:

- Direktreduktion mit Wasserstoff (H₂-DRI): Anstelle von Koks wird Wasserstoff als Reduktionsmittel verwendet, um Eisenerz zu Eisen zu reduzieren. Dies reduziert die CO₂-Emissionen erheblich und ist ein vielversprechender Ansatz für eine CO₂-freie Stahlproduktion, sofern der verwendete Wasserstoff CO₂-frei erzeugt wird (1).

- Einsatz von Erdgas: Erdgas kann als Reduktionsmittel in der Direktreduktion eingesetzt werden. Dabei wird Erdgas zu Synthesegas reformiert, das dann das Eisenoxid reduziert. Dieses Verfahren hat geringere CO₂-Emissionen als die traditionelle Hochofenroute, da Erdgas einen höheren Wasserstoffgehalt hat (2). Allerdings werden immer noch CO₂-Emissionen freigesetzt, die gegebenenfalls durch CCS reduziert werden können.

- Elektrolichtbogenofen (EAF): Hierbei wird Stahlschrott in einem Elektrolichtbogenofen eingeschmolzen. Dieses Verfahren erfordert weniger Energie als die traditionelle Hochofenroute und ermöglicht die Nutzung von recyceltem Stahl. Die CO₂-Emissionen hängen stark von der Art der eingesetzten elektrischen Energie ab. Wird CO₂-freie Energie verwendet, können die Emissionen deutlich reduziert werden(3).

- Schmelzreduktionstechnologien (z. B. COREX, FINEX): Diese Verfahren ermöglichen die direkte Nutzung von Eisenerz und Kohle, ohne dass Koks erforderlich ist. Sie sind effizienter und umweltfreundlicher als herkömmliche Hochöfen, aber sie erzeugen immer noch CO₂-Emissionen(4).

- Plasmatechnologie: Einsatz von Plasma für die Reduktion von Eisenerz, was zu höheren Temperaturen und effizienteren Prozessen führt. Auch hier hängt die CO₂-Bilanz stark von der Art der eingesetzten Energie ab. Wird CO₂-freie Energie verwendet, können die Emissionen reduziert werden(4).

- Biomasse als Reduktionsmittel: Verwendung von erneuerbaren Ressourcen wie Biomasse anstelle von fossilen Brennstoffen zur Reduktion von Eisenerz. Dies kann CO₂-neutral sein, wenn die Biomasse nachhaltig angebaut wird.

- Elektrolyseverfahren: Innovative Verfahren, bei denen Eisenerz durch elektrochemische Prozesse direkt zu Eisen reduziert wird, ähnlich der Aluminiumherstellung. Dies könnte langfristig eine CO₂-freie Stahlproduktion ermöglichen, sofern CO₂-freie Energie verwendet wird.

CO₂-Emissionen der alternativen Herstellungsverfahren

Die verschiedenen alternativen Herstellungsverfahren unterscheiden sich erheblich hinsichtlich ihrer CO₂-Emissionen:

- CO₂-freie Verfahren: Direktreduktion mit grünem Wasserstoff und Elektrolyseverfahren können die CO₂-Emissionen nahezu auf Null reduzieren, sofern CO₂-freie Energiequellen verwendet werden.

- CO₂-arme Verfahren: Einsatz von Erdgas in der Direktreduktion und Elektrolichtbogenöfen reduzieren die CO₂-Emissionen im Vergleich zu traditionellen Methoden erheblich, sind jedoch nicht vollständig CO₂-frei.

- Verfahren mit moderater CO₂-Reduktion: Schmelzreduktionstechnologien bieten im Vergleich zu traditionellen Methoden eine CO₂-Reduktion von etwa 20–30 %, bleiben aber CO₂-intensiv(4).

Rolle von Carbon Capture and Storage (CCS) und Einsatz von Erdgas

CCS kann in der Stahlindustrie dazu beitragen, die CO₂-Emissionen aus kohlenstoffintensiven Prozessen zu reduzieren. Durch die Abscheidung von CO₂ aus Abgasen und die anschließende Speicherung in geologischen Formationen wird verhindert, dass das CO₂ in die Atmosphäre gelangt (8). CCS kann insbesondere bei Verfahren eingesetzt werden, bei denen fossile Brennstoffe unvermeidbar sind oder wo alternative Technologien noch nicht wirtschaftlich sind.

Der Einsatz von Erdgas als Reduktionsmittel stellt eine Übergangslösung dar. Erdgas verursacht weniger CO₂-Emissionen als Kohle, da es einen höheren Wasserstoffanteil hat. In Kombination mit CCS können die CO₂-Emissionen weiter reduziert werden (2)(8). Langfristig könnte Erdgas durch CO₂-freie Alternativen wie grünen Wasserstoff oder synthetische Gase ersetzt werden.

Bedeutung von CO₂-freier Energie

Für viele der genannten alternativen Herstellungsverfahren ist die Verwendung von CO₂-freier Energie entscheidend, um die CO₂-Emissionen der Stahlproduktion signifikant zu reduzieren. CO₂-freie Energie kann aus Quellen wie Wind-, Solar- und Wasserkraft, Kernkraft oder anderen CO₂-freien Energiequellen stammen (9). Die Nutzung von CO₂-freier Energie ermöglicht es, Prozesse wie die Elektrolyse oder den Betrieb von Elektrolichtbogenöfen nahezu CO₂-neutral zu gestalten.

Langfristige Überlegungen

Wesentliche Faktoren, die berücksichtigt werden müssen:

- Stahlbedarfsentwicklung: Langfristige Prognosen für Branchen wie den deutschen Maschinenbau und die Automobilindustrie spielen eine gewichtige Rolle. Der zukünftige Bedarf an Stahl beeinflusst die strategischen Entscheidungen erheblich.

- Kapitalverfügbarkeit: Die Verfügbarkeit von Kapital ist entscheidend für die Umsetzung neuer Technologien. Investitionen in moderne Produktionsanlagen und Forschung sind notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

- Technologische Entwicklung und Vermarktung: Wenn eine neue Technologie die richtige Lösung ist, muss sie auch von jemandem entwickelt und implementiert werden. Sollte die eigene Stahlproduktion im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig sein, könnten die entwickelten Technologien und Prozesse international vermarktet werden. So könnten deutsche Unternehmen ihre Innovationskraft nutzen, um durch den Export von Anlagentechnologien und Prozessinnovationen neue Märkte zu erschließen.

Schlussfolgerung

Systemisch betrachtet handelt es sich hier um eine komplexe Aufgabe, die ein schrittweises Vorgehen und eine mitlaufende Risiko- und Chancenanalyse erfordert. Nach dem Cynefin-Modell sollten komplexe Probleme durch Experimentieren, Beobachten und Anpassen gelöst werden. In einem dynamischen Umfeld müssen Entscheidungen so flexibel wie möglich angepasst werden, da man erst im Nachhinein erkennt, welche Maßnahmen effektiv waren.

Es ist daher unerlässlich, dass Unternehmen, Politik und Gesellschaft gemeinsam an Lösungen arbeiten, um die Zukunft der Stahlversorgung in Deutschland zu sichern. Durch eine Kombination aus Effizienzsteigerung, höchster Automatisierung, technologischer Innovation, hoher Mitarbeiterkompetenz, hoher Qualität und hoher Lieferfähigkeit sowie strategischer Planung kann die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und ausgebaut werden. Der Einsatz von CCS und die Nutzung von Erdgas als Übergangslösung können dabei helfen, die CO₂-Emissionen zu reduzieren, bis CO₂-freie Technologien und Energiequellen flächendeckend verfügbar sind. Selbst wenn die internationale Wettbewerbssituation sich zu Ungunsten Deutschlands entwickelt, können durch die Vermarktung von Anlagentechnologien und Prozessinnovationen neue Chancen entstehen. Die Verarbeitung von importiertem Eisenschwamm in deutschen Walzwerken würde zudem einen Teil der  heimischen Wertschöpfung und Beschäftigung sichern können.

[1] Fischedick, M., Marzinkowski, J., Winzer, P., & Weigel, M. (2014). Techno-economic evaluation of innovative steel production technologies. Journal of Cleaner Production, 84, 563-580.
[2] International Energy Agency (IEA). (2020). Iron and Steel Technology Roadmap. Abgerufen von https://www.iea.org/

[3] World Steel Association. (2018). Steel Statistical Yearbook. Abgerufen von https://www.worldsteel.org/

[4] Sohn, I., & Fruehan, R.J. (2005). Process Modeling of the FINEX Process for the Iron and Steelmaking Industry. Metallurgical and Materials Transactions B, 36(3), 325-332.

[5] Patisson, F., & Mirgaux, O. (2013). Hydrogen Ironmaking: How It Works. Metals, 3(3), 194-203.

[6] Suopajärvi, H., Fabritius, T., & Pongrácz, E. (2017). The potential of using biomass-based reducing agents in the blast furnace: A review of thermochemical conversion technologies and assessments related to sustainability. Renewable and Sustainable Energy Reviews, 25, 511-528.

[7] Wang, C., et al. (2018). Electrolytic Iron Production from Alkaline Electrolysis. Journal of the Electrochemical Society, 165(13), E725-E732.

[8] Rubin, E.S., Davison, J.E., & Herzog, H.J. (2015). The cost of CO₂ capture and storage. International Journal of Greenhouse Gas Control, 40, 378-400.


 

 

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