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Die chinesische Herausforderung – Ein Weckruf oder Abgesang der deutschen Automobilindustrie? Was ist zu tun?
Hermann Doppler, 27.12.2024 - überarbeitet 2.1.25
Die deutsche Automobilindustrie, einst Weltmarktführer und Synonym für Qualität und Innovation, sieht sich heute einer epochalen Herausforderung gegenüber: Chinesische Automobilhersteller, die noch vor wenigen Jahrzehnten als Nachahmer galten, haben sich zu Vorreitern entwickelt. Durch massive Investitionen in innovative Technologien, digitale Ökosysteme und eine radikale Kundenorientierung setzen sie weltweit neue Maßstäbe und drängen in Märkte, die lange von deutschen Herstellern dominiert wurden.
Doch wie konnte es so weit kommen? Ist dies das Ende des „Made in Germany“? Oder ist es ein Weckruf, der die deutsche Industrie zu neuen Höhen treiben kann? In diesem Beitrag stelle ich von mir wahrgenommenen Hintergründe zur Diskussion. Ziel ist es die die Schwächen zu anlysieren und Handlungsfelder zu formulieren – mit einem besonderen Fokus auf Qualität, Agilität und der Übertragbarkeit bewährter Managementansätze auf die Behörden.
Ein Vergleich: Vom Vorbild zum Verfolger
Einst war Deutschland das Vorbild für die Automobilwelt. Doch während hierzulande oft diskutiert und reguliert wurde, haben die Chinesen gehandelt. Wie ein treffender Kommentar es formulierte: „EU: Wir werden es machen. China: Wir haben es gerade gemacht.“
Chinesische Hersteller sind heute in vielen Bereichen voraus:
- Innovative Fertigungsmethoden: Etablierung von 7S-Strukturen, Einsatz autonomer Fertigungszellen und hochentwickelter Produktionsstandards.
- Digitale Ökosysteme: Plattformen wie BYDs Xuanji und NIOs umfassende Serviceangebote schaffen ein unvergleichliches Kundenerlebnis.
- Kundenzentrierung: Erschwingliche, aber hochwertige Produkte und radikale Kundenbindung durch digitale Vernetzung und personalisierte Dienstleistungen.
Die Zahlen sprechen für sich: Während der chinesische Automobilmarkt wächst, mussten deutsche Hersteller Marktanteile abgeben. BYD, NIO und XPeng verzeichnen jährliche Wachstumsraten von bis zu 150 %, während deutsche Marken als teuer und weniger innovativ wahrgenommen werden.
Quellen: BYDs Erfolg und Marktanteile: auto-institut.de; Schwächen deutscher Hersteller: dw.com
Die Herausforderungen für die deutsche Automobilindustrie
- Strategische Neuorientierung – Raus aus der Adaptivität
Chinesische Hersteller folgen einer dynamisch-aggressiven Strategie, die auf Innovation, Geschwindigkeit und Marktbeherrschung abzielt. Deutsche Hersteller hingegen verharren oft in einer adaptiven Strategie, die vor allem auf inkrementelle Verbesserungen setzt. Diese Strategie reicht jedoch nicht mehr aus. Es muss gelingen, den chinesischen Vorsprung aufzuholen und sie langfristig zu überholen. (siehe auch )
2. Bürokratie und Trägheit
Die deutsche Industrie leidet unter einer massiven Bürokratielast, die Innovationen behindert. Ein Beispiel aus der Diskussion: „Zur Jahrtausendwende war der Papieraufwand beim VW B5 in China um 50 % geringer als heute.“ Behörden und Genehmigungsprozesse sind oft zu langsam, um mit dem Tempo der Innovationen mitzuhalten.
3. Qualitätssicherung und -ausbau
Einer der markantesten Kritikpunkte aus den Diskussionen ist der Verlust der einstigen Qualitätsführerschaft. Deutsche Autos sind heute oft teurer als die Konkurrenz, bieten aber nicht immer den entsprechenden Mehrwert. Das „Made in Germany“ als Qualitätssiegel droht zu verblassen.
4. Digitalisierung und Kundenerlebnis
Während chinesische Hersteller das Auto als Teil eines digitalen Ökosystems verstehen, wird in Deutschland das Fahrzeug oft isoliert betrachtet. Diese Denkweise muss dringend geändert werden, um Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen.
Was ist zu tun? Handlungsempfehlungen
1. Handlungsoptionen: Strategisch aufholen und den Markt neu definieren
1️⃣ Kann der Abstand aufgeholt werden?
Ja, aber nur mit einer klaren Vision, einem Strategiewechsel und außergewöhnlicher Einsatzbereitschaft. Deutsche Hersteller müssen ihre adaptiven Ansätze durch dynamisch-kreative Strategien ersetzen, die Innovation und Effizienz kombinieren.
2️⃣ Wie lange dauert das und was kostet es?
- Kurzfristig: Prozesse optimieren, Effizienz steigern und bestehende Stärken nutzen.
- Langfristig: Investitionen in disruptive Technologien, neue Geschäftsmodelle und eine mobilisierte Belegschaft sind essenziell.
3️⃣ Wie viel Sinn macht das?
Blindes „Nachlaufen“ ist keine Lösung. Stattdessen sollte Leapfrogging – das gezielte Überspringen aktueller Trends – im Fokus stehen. Autonomes Fahren, nachhaltige Mobilität und digitale Ökosysteme bieten Möglichkeiten, den Markt neu zu definieren.
4️⃣ „Go where the puck may go!“
Das Zitat von Wayne Gretzky (ehem. kanadischer Eishockeyspieler) verdeutlicht: Der Fokus muss darauf liegen, mutige Innovationen zu gestalten, die den Markt in Zukunft dominieren können.
2. Operative Handlungsempfehlungen
2.1 Bürokratie abbauen und Prozesse entschlacken
Die Einführung eines "One-Stop-Shop"-Ansatzes könnte Genehmigungsverfahren effizienter gestalten. Behörden sollten zudem die Prinzipien des Lean Management anwenden, um unnötige Prozessschritte zu eliminieren. Hierzu kann das Konzept der Knowledge Creating Company eine zentrale Rolle spielen: Durch die systematische Generierung und Verbreitung von Wissen könnten Behörden dynamischer und agiler agieren.
2.2 Intensivierung von Digitalisierung und KI
Die Nutzung von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) muss bewusst verstärkt werden – nicht nur in der Industrie, sondern auch in den Behörden. Ein Ansatz ist die Transformation hin zu einem "Knowledge Creating Government", das durch die effektive Nutzung von Daten und KI den Automobilherstellern auf Augenhöhe begegnet. Behörden können dabei:
- Prozesse optimieren: Datenanalyse und KI-basierte Modelle könnten Genehmigungsverfahren beschleunigen und Ressourcen effizienter nutzen.
- Kooperation fördern: Durch intelligente Plattformen und digitale Tools könnten Hersteller, Zulieferer und staatliche Stellen besser vernetzt werden.
2.3. Qualität als Kernkompetenz zurückgewinnen
Die Diskussion betonte mehrfach: Die Qualitätsposition Deutschlands darf nicht nur gewahrt, sondern muss ausgebaut werden. Dies erfordert:
- Strenge Qualitätsstandards: Rückkehr zu kompromissloser Präzision in allen Fahrzeugsegmenten.
- Innovative Technologien: Vorreiterrolle in Festkörperbatterien, Wasserstoffantrieben und intelligenter Software.
2.4 Kundenerlebnis neu denken
Deutsche Hersteller müssen den Kunden wieder ins Zentrum stellen:
- Digitale Plattformen: Schaffung von Ökosystemen, die den Kunden über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus begleiten.
- Personalisierte Services: Abonnementmodelle wie bei NIO könnten Kundenbindung stärken.
2.5 Aufbau eines Business-Eco-Systems
Ein starkes Netzwerk aus Automobilherstellern, Zulieferern und Start-ups kann die Innovationskraft erheblich steigern. Synergien und gemeinschaftliche Entwicklungsprojekte sind der Schlüssel, um schneller zu innovieren.
2.6 Agilität und Unternehmenskultur fördern
Die deutsche Industrie muss ihre Unternehmenskultur modernisieren:
- Flache Hierarchien: Entscheidungen müssen schneller getroffen werden können.
- Offene Fehlerkultur: Innovation erfordert Mut und die Akzeptanz, dass Fehler Teil des Prozesses sind.
Übertragbarkeit auf Behörden: Das Konzept der Knowledge Creating Company
Die Prinzipien der Knowledge Creating Company, die ursprünglich auf Unternehmen zugeschnitten sind, könnten auch Behörden helfen, effizienter zu werden. In einer „konzertierten Aktion“ könnten Behörden ihre Prozesse mit den Methoden des Lean Managements, der Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz entschlacken, ohne Abstriche bei Qualität und Präzision zu machen. Dies würde nicht nur der Automobilindustrie zugutekommen, sondern der gesamten Wirtschaft.
Ein Weckruf, keine Kapitulation
Die chinesische Herausforderung ist kein Abgesang auf die deutsche Automobilindustrie, sondern ein Weckruf. Sie zeigt uns, dass der Erhalt von Qualität, gepaart mit Agilität und Innovation, den Schlüssel zur Zukunft darstellt.
Mit einem klaren Fokus auf Digitalisierung, Kundenorientierung und Qualität kann Deutschland nicht nur seine Marktposition behaupten, sondern erneut zur Weltspitze aufschließen. Die Zeit zu handeln ist jetzt.
Quellen und weiterführende Literatur:
- Marktposition und Schwächen deutscher Hersteller: dw.com
- Erfolgsstrategien chinesischer Hersteller: capgemini.com
- Potenziale durch Business-Eco-Systeme: vda.de
Packen wir es an – die Herausforderung ist groß - unser Potenzial ist größer!