Das Henne-Ei-Problem der Wasserstoffwirtschaft: Warum es Zeit ist, den Zyklus zu durchbrechen
Das Narrativ "Wasserstoff ist der Champagner unter den Energieträgern," ursprünglich geprägt von Claudia Kemfert, evoziert ein Bild von Exklusivität und Hochpreisigkeit, das in der öffentlichen Debatte um erneuerbare Energien eine einflussreiche Rolle spielt. Doch ist dieses Narrativ wirklich hilfreich, oder trägt es gar zur Perpetuierung eines Henne-Ei-Problems in der Wasserstoffwirtschaft bei? Angesichts der dringenden Notwendigkeit einer Dekarbonisierung in allen Wirtschaftsbereichen, insbesondere in der Grundstoffindustrie, stellt sich die Frage, ob dieses Narrativ uns nicht in einer selbst erfüllenden Prophezeiung gefangen hält. Dieser Artikel analysiert unter Zuhilfenahme des Cynefin-Frameworks die komplexen Herausforderungen in der Wasserstoffdebatte und argumentiert für eine sowohl-als-auch-Strategie, um die Skalierung der Wasserstoffproduktion effektiv voranzutreiben. Dabei wird die Rolle der sogenannten "Blends" und eFuels als unmittelbare Hebel für die Erzeugung von Bedarf und als Mittel zur Erreichung der Klimaziele erörtert. Abschließend wird die gesellschaftliche Verantwortung für eine differenzierte Betrachtung der Thematik betont.
Das Henne-Ei-Problem in der Wasserstoffwirtschaft
In der Wasserstoffwirtschaft manifestiert sich ein klassisches Henne-Ei-Problem: Für eine kosteneffiziente Produktion von Wasserstoff sind erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Technologie unabdingbar, die nur durch Skaleneffekte gerechtfertigt werden können. Diese Skaleneffekte treten jedoch erst bei ausreichender Nachfrage ein. Dieser Teufelskreis wird durch das weit verbreitete "Champagner-Narrativ" zusätzlich erschwert, da es eine kritische Masse an Investitionen und Interesse hemmt. Im Zuge der unvermeidbaren Dekarbonisierung wird Wasserstoff als Grundstoff in der Industrie in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland in hohem Maße erforderlich sein. Es ist daher von strategischer Bedeutung, die notwendigen Produktionskapazitäten jetzt aufzubauen, um eine reibungslose Substitution der traditionellen fossilen Grundstoffe zu ermöglichen.
Das Cynefin-Framework als Analysewerkzeug
n diesem komplexen Gefüge bietet das Cynefin-Framework eine hilfreiche Perspektive zur Bewertung der Lage. Dieses Framework klassifiziert Probleme in verschiedene Kategorien, von "einfach" bis "komplex", und empfiehlt darauf basierend Entscheidungsfindungsstrategien. Im Falle der Wasserstoffwirtschaft befinden wir uns eindeutig in der Kategorie "komplex", wo viele Faktoren dynamisch interagieren und das Ergebnis ungewiss ist. Das Risiko kann in solch einem Szenario durch eine "Sowohl-als-auch-Strategie" minimiert werden. Wenn Deutschland zu spät in den globalen Wasserstoffmarkt investiert, könnten hohe Importpreise die heimische Grundstoffindustrie gefährden. Tatsache ist, dass Deutschland aufgrund seiner geografischen Lage Wasserstoff nicht wettbewerbsfähig herstellen kann und daher ein hohes Interesse an der schnellen Entwicklung eines globalen Wasserstoffmarktes haben muss. Nur durch eine vorausschauende, vielseitige Strategie können wir die Grundstoffindustrie vor einer Abwanderung der Produktionskapazitäten schützen.
Die Rolle der Gesellschaft und der Politik
In diesem komplexen Geflecht kommt der Gesellschaft und Politik eine Schlüsselrolle zu. Die Freigabe von "Blends" – Kraftstoffgemischen mit signifikanten Anteilen an eFuels oder Wasserstoff – könnte eine pragmatische und effiziente Lösung sein, um die notwendige Nachfrage zu stimulieren. Dies stellt eine Win-Win-Situation dar, in der sowohl die Industrie als auch die Verkehrssektoren ihre CO2-Reduktionsziele erreichen können. Die Einführung solcher Blends ist umso wichtiger, als dass die angestrebten Zielzahlen für batterieelektrische Fahrzeuge alleine nicht ausreichen werden, um die erforderliche CO2-Reduktion zu erzielen. Somit können Blends als Brückentechnologie dienen, während wir den großflächigen Einsatz von Wasserstoff vorbereiten. Nur durch eine engagierte, gut informierte Gesellschaft und durch politische Entscheidungen, die auf tiefem Verständnis und nicht auf vereinfachten Narrativen basieren, können wir die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen.
Warum jetzt handeln?
Die Dringlichkeit des Handelns ergibt sich aus mehreren Faktoren. Erstens ist die deutsche Grundstoffindustrie, von der ein erheblicher Teil der Wertschöpfung abhängt, auf den Import von Wasserstoff angewiesen. Die Einführung von Blends und Kraftstoffen mit eFuel-Anteilen kann bereits kurzfristig die notwendige Nachfrage generieren, die wiederum für den dringend erforderlichen Aufbau von Produktionskapazitäten in sonnen- und windreichen Regionen sorgt. Diese sind für die Realisierung günstiger Preise unabdingbar. Fehlt diese Nachfrage, riskieren wir, dass die deutsche Industrie im globalen Wettbewerb zurückfällt. Zweitens muss, im Kontext der Dekarbonisierung, die Substitution der traditionellen fossilen Grundstoffe reibungslos und rechtzeitig erfolgen. Dafür sind jetzt Investitionen in Kapazitäten erforderlich. Drittens, die Versäumnisse von heute können dazu führen, dass die heimische Industrie ins Hintertreffen gerät und die Produktionskapazitäten in Länder abwandern, die ihre eigene Wasserstoffproduktion erfolgreich skalieren konnten.
Kurz gesagt: Jetzt zu handeln minimiert das Risiko und bereitet den Boden für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige Zukunft.
Schlussfolgerung
Die Wasserstoffwirtschaft steht an einem kritischen Punkt, an dem mutige und durchdachte Entscheidungen erforderlich sind, um einen nachhaltigen Energieübergang zu gewährleisten. Wir können es uns nicht leisten, von leicht verdaulichen Narrativen wie dem "Champagner unter den Energieträgern" geleitet zu werden. Unsere gesellschaftliche Verantwortung verlangt, dass wir die Komplexität der Lage in all ihren Facetten durchdenken. Divergierende Meinungen sind dabei nicht nur willkommen, sondern notwendig, vorausgesetzt, sie basieren auf einem tiefen Verständnis der Materie und nicht auf vereinfachten Narrativen.
Es ist an der Zeit, das Henne-Ei-Problem zu durchbrechen und den Teufelskreis aus Nachfrage und Angebot in der Wasserstoffwirtschaft zu lösen. Dies erfordert ein Zusammenspiel von Politik, Industrie und Gesellschaft, um die notwendigen Rahmenbedingungen und Anreize für den Aufbau eines global wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarktes zu schaffen. Nur so können wir sicherstellen, dass Deutschland in der Lage ist, seine Dekarbonisierungsziele zu erreichen, ohne seine industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu opfern.