Führung von unten – Wie Mitarbeitende Einfluss nehmen können
In der klassischen Vorstellung ist Führung eine Top-down-Angelegenheit: Die Vorgesetzten geben die Richtung vor, die Mitarbeitenden setzen um. Doch die Realität in modernen Unternehmen ist oft komplexer. Nicht nur Chefs führen – auch Mitarbeitende können und sollten Führung übernehmen, selbst ohne eine formale hierarchische Position. "Führung von unten" bedeutet, aktiv Verantwortung zu übernehmen, ohne die Autorität der Vorgesetzten zu untergraben.
Peter Drucker, einer der einflussreichsten Managementdenker, betonte, dass Führung nicht primär mit formaler Macht, sondern mit Wirksamkeit und Verantwortung zu tun hat. "Führung bedeutet, Menschen wirksam zu machen."Das gilt nicht nur für Führungskräfte, sondern auch für Mitarbeitende, die durch Kompetenz, Engagement und Initiative Einfluss nehmen.
Auch Heike Bruch, Professorin für Leadership an der Universität St. Gallen, sieht Engagement und Energie als zentrale Treiber von Führung. Mitarbeitende, die sich mit ihrer Arbeit identifizieren und sich mit voller Energie einbringen, prägen Unternehmen stärker als diejenigen, die passiv Anweisungen befolgen. Führung von unten ist daher keine Option, sondern eine Notwendigkeit, um Organisationen erfolgreich und innovativ zu halten.
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Warum ist Führung von unten wichtig?
Gute Führung funktioniert nicht nur durch Anweisungen von oben, sondern auch durch Engagement, kritisches Mitdenken und den konstruktiven Einfluss der Mitarbeitenden. Unternehmen, die ausschließlich auf „Ja-Sager“ setzen, verlieren an Innovationskraft und Entscheidungsqualität. Stattdessen braucht es eine Kultur, in der Mitarbeitende durch Kompetenz, Loyalität und Fingerspitzengefühl mitgestalten.
Doch Führung von unten ist nicht gleichzusetzen mit subtiler Manipulation. Prof. Rudolf Affemann warnt davor, Führung auf taktische Einflussnahme oder technokratische Methoden zu reduzieren. Wahre Führung – egal aus welcher Position heraus – beruht auf Klarheit, Authentizität und Vertrauen.
Auch Drucker war der Meinung, dass Führung nicht durch Kontrolle, sondern durch Vertrauen funktioniert. "Vertrauen ist der entscheidende Faktor für jede Form von Führung" – wer Einfluss nehmen will, muss glaubwürdig, kompetent und verlässlich sein.
Bruch ergänzt diese Perspektive um den Gedanken der transformationale Führung, die Mitarbeitende durch Sinnstiftung und Inspiration zu Eigenverantwortung motiviert. In einer solchen Kultur wird Führung von unten aktiv gefördert, weil sich Mitarbeitende intrinsisch engagieren.
Ein zentraler Gedanke von Drucker in diesem Kontext ist das Konzept "Management by Objectives and Self-Control". Mitarbeitende sollen nicht nur Ziele bekommen, sondern diese auch durch Selbststeuerung verfolgen. Damit wird Führung von unten nicht nur toleriert, sondern notwendig, weil Eigenverantwortung eine Grundvoraussetzung für Unternehmenserfolg wird.
Bruch geht sogar einen Schritt weiter und fordert "geteilte Führung" als neue Organisationsform. Dabei wird Führungsverantwortung nicht nur auf eine Person konzentriert, sondern auf mehrere Schultern verteilt. Das bedeutet, dass Führung von unten nicht nur geduldet, sondern aktiv als Erfolgsfaktor genutzt wird.
Die vier Typen von Mitarbeitenden und ihr Einfluss auf Führung von unten
Die Möglichkeit, Führung von unten zu praktizieren, hängt stark vom Verhalten und der Haltung der Mitarbeitenden ab. Anhand zweier Achsen – Commitment (Loyalität & Identifikation mit dem Unternehmen) und Engagement (Eigeninitiative & Tatkraft) – lassen sich vier Typen von Mitarbeitenden unterscheiden:
1️⃣ Mitläufer („Ja-Sager“) – Hohes Commitment, geringes Engagement
- Diese Mitarbeitenden sind loyal und stehen hinter dem Unternehmen, bringen aber wenig eigene Initiative ein.
- Sie folgen Anweisungen ohne Widerspruch, übernehmen selten Verantwortung über das Notwendige hinaus.
- In stabilen Strukturen können sie eine wertvolle Unterstützung sein, aber in dynamischen Umfeldern fehlt es ihnen oft an Eigeninitiative.
- 🔹 Führung von unten ist hier kaum zu erwarten, da der Mut zur Eigenverantwortung fehlt.
2️⃣ Mit-Unternehmer („Cheffing“) – Hohes Commitment, hohes Engagement
- Dies sind die idealen Mitarbeitenden: Sie sind nicht nur loyal, sondern denken und handeln wie Unternehmer im Unternehmen.
- Sie übernehmen Verantwortung, machen konstruktive Vorschläge und beeinflussen das Unternehmen positiv – ohne die Hierarchie zu untergraben.
- Diese Mitarbeitenden beherrschen die Führung von unten, indem sie mit Fingerspitzengefühl agieren, Vertrauen aufbauen und dem Chef auf Augenhöhe begegnen.
- 🔹 Hier liegt das größte Potenzial für Führung von unten.
Drucker würde diese Gruppe als Wissensarbeiter bezeichnen, die nicht durch Befehle geführt werden, sondern durch klare Ziele und Verantwortlichkeiten. Sein Konzept des "Management by Objectives and Self-Control" betont, dass Führung durch gemeinsam vereinbarte Ziele statt durch Kontrolle funktioniert. Mitarbeitende, die klare Ziele haben und selbst gesteuert arbeiten, können eigenständig Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen – ein idealer Rahmen für Führung von unten.
Heike Bruch sieht hier den größten Hebel für Führung von unten: Wenn Unternehmen diese Mitarbeitenden gezielt fördern, statt sie durch starre Strukturen auszubremsen, entsteht eine dynamische, energiereiche Organisation.
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Quellen:
Peter Drucker
-
Drucker, P. F. (1954). The Practice of Management. Harper & Row.
→ Grundlage für „Management by Objectives and Self-Control“ -
Drucker, P. F. (1974). Management: Aufgaben, Verantwortung und Praxis. Econ.
→ Fokus auf Vertrauen in Führung und Selbstverantwortung -
Drucker, P. F. (2008). Management: Tasks, Responsibilities, Practices. HarperBusiness.
→ Wissensarbeiter als Führungsakteure
Heike Bruch
-
Bruch, H. & Ghoshal, S. (2004). A Bias for Action: How Effective Managers Harness Their Willpower, Achieve Results, and Stop Wasting Time. Harvard Business Review Press.
→ Energie als Treiber für Führung von unten -
Bruch, H. & Vogel, B. (2011). Fully Charged: How Great Leaders Boost Their Organization’s Energy and Ignite High Performance. Harvard Business Review Press.
→ Bedeutung von Engagement für Leadership-Kultur
Bernard Bass & Transformationale Führung
- Bass, B. M. (1985). Leadership and Performance Beyond Expectations. The Free Press.
→ Transformationale Führung als Treiber für Selbstverantwortung
Amy Edmondson – Psychologische Sicherheit
- Edmondson, A. C. (2018). The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Wiley.
→ Psychologische Sicherheit als Voraussetzung für Führung von unten