Deutschland in der Teufelsspirale – Umkehr ist vonnöten
Der Schlüssel liegt in umfassender Produktivitätsverbesserung – raus aus dem Stillstand
Deutschland steht vor einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Herausforderung: Eine Kombination aus stagnierender Produktivität in kostenrelevanten Bereichen, Fachkräftemangel, steigenden Kosten und sinkender Wettbewerbsfähigkeit führt zu einer gefährlichen Abwärtsspirale. Besonders betroffen sind ortsgebundene und systemrelevante Sektoren wie das Baugewerbe, das Handwerk, die öffentliche Verwaltung und das Gesundheitswesen, da sie einen signifikanten Anteil der Lebenshaltungskosten der Bürgerinnen und Bürger ausmachen. Diese Sektoren belasten die Bürgerinnen und Bürger in ihrem direkten Umfeld. Neben der Kostenbelastung lösen sie einen Fachkräftemangel aus, der wiederum die nicht systemrelevanten und weniger ortsgebundenen, profitablen Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle belastet und so verteuert, dass sie in wettbewerbsfähigere Länder verlagert werden müssen.
1. Die Produktivitätsfalle in Schlüsselbereichen
In Deutschland stagniert die Produktivität besonders in Bereichen, die für das tägliche Leben unverzichtbar sind – etwa Bau, Gesundheit, Bildung und Verwaltung. Die Ursachen sind vielschichtig: Ein fehlender Mindset der kontinuierlichen Verbesserung, der geringe Einsatz von Lean‑ und Agile‑Methoden, digitale Rückstände, schwache Wettbewerbsintensität und veraltete Strukturen bremsen den Fortschritt.
Internationale Vergleiche zeigen, dass Deutschland in diesen Sektoren zunehmend ins Hintertreffen gerät – und teilweise bereits heute unter dem internationalen Durchschnitt liegt. Ein markantes Beispiel ist das Baugewerbe: Seit 1991 ist die Arbeitsproduktivität je Arbeitsstunde real um 23 % gefallen, während die Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum ein Plus von rund 46 % verzeichnete.
2. Die Abwärtsspirale: Kostendruck, Fachkräftemangel, Wettbewerbsverlust
Stagnierende Produktivität in kostenintensiven, ortsgebundenen Sektoren wie Bau, Handwerk, öffentlicher Verwaltung und Gesundheitswesen trifft auf Fachkräftemangel, steigende Kosten und sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Gerade diese systemrelevanten Bereiche treiben die Lebenshaltungskosten der Bevölkerung in die Höhe. Gleichzeitig binden sie immer mehr Arbeitskräfte, was den Mangel weiter verschärft. Das belastet auch exportfähige, weniger ortsgebundene und profitable Produkte und Geschäftsmodelle: Sie verteuern sich – oder wandern gleich ins Ausland ab.
Ein zusätzlicher Kostenverstärker in diesen Sektoren ist der politisch gesetzte Mindestlohn. Er trifft vor allem dort, wo Tätigkeiten ohnehin nur geringe Produktivität aufweisen – etwa bei einfachen Handwerks‑ und Bautätigkeiten, in der Pflege oder bei Hilfsarbeiten in Verwaltungen. Steigt der Mindestlohn weiter, ohne dass zugleich Produktivitätsfortschritte erzielt werden, steigen die Preise spürbar – sei es für Pflegeleistungen, Baukosten oder kommunale Gebühren. In der Verwaltung entstehen zusätzliche Ausstrahlungseffekte auf ganze Tarifgefüge. So verstärkt der Mindestlohn, gut gemeint, indirekt die Spirale aus steigenden Kosten, sinkender Wettbewerbsfähigkeit und wachsendem Fachkräftedruck.
Nur durch gezielte Produktivitätsfortschritte in diesen Schlüsselbereichen kann dieser Kreislauf durchbrochen werden.
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3. Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr – Politik setzt Fehlanreize und gefährdet die Leistungsträger
Internationale Branchen wie die Automobilzulieferer kämpfen Tag für Tag um Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Doch in Deutschland werden sie durch politische Fehlsteuerungen ausgebremst: Hohe Lohnforderungen – getrieben durch steigende Lebenshaltungskosten und fehlende Produktivitätsfortschritte in staatlich dominierten oder stark regulierten Bereichen – treffen auf immer mehr Bürokratie und eine wachsende Steuerlast.
Das ifo Institut warnt: »Ein Großteil des Produktivitätspotenzials in Deutschland bleibt ungenutzt – insbesondere im öffentlichen Sektor und bei staatlich regulierten Dienstleistungen.« Laut ZEW Mannheim liegt die effektive Unternehmenssteuerlast in Deutschland rund zehn Prozentpunkte über dem EU‑Durchschnitt und gut sechs bis acht Prozentpunkte über dem OECD‑Durchschnitt – ein klarer Standortnachteil.
Die Politik verteilt lieber um, statt Strukturen zu reformieren – was nicht nur die Unternehmen belastet, sondern auch die Leistungsbereitschaft der Bevölkerung schwächt, weil Fleiß und Eigenverantwortung zunehmend entwertet werden.
Wer flexibel ist, verlagert – nicht nur wegen niedrigerer Löhne, sondern wegen schlanker Prozesse, konsequenter Digitalisierung und leistungsfreundlicher Rahmenbedingungen in anderen Ländern. Dort wird Zukunft gemacht. In Deutschland hingegen verlieren wir nicht unsere Kompetenz, sondern unsere Konsequenz – und mit ihr unsere besten Unternehmen.
4. Ideologische Leitplanken statt strategischer Infrastruktur
Deutschlands Energiepolitik steht an einem Scheideweg – und verfehlt ihn zugleich. Statt technologieoffen und strategisch zu handeln, dominiert ein Denken in ideologischen Leitplanken. Investitionen und politische Entscheidungen folgen weniger ökonomischer und technologischer Vernunft als dogmatischen Überzeugungen.
Ein besonders kostspieliges Beispiel ist der Ausstieg aus der Kernenergie – trotz lauffähiger, sicherer und abgeschriebener Anlagen. Diese wurden vorschnell stillgelegt und teilweise bereits verschrottet. Die daraus entstehenden Versorgungslücken werden mit teuer subventionierten Alternativen gestopft – zu Lasten von Haushalten, Unternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industriezweige.
Hinzu tritt ein typisch deutsches Phänomen: die NIMBY‑Haltung – Not In My Backyard. Windkraft – ja, aber bitte nicht in Sichtweite. Hochspannungsleitungen? Nur unterirdisch, obwohl Freileitungen günstiger, schneller realisierbar und technisch bewährt sind. Und beim Erdgas: Inländisches Fracking wird verteufelt, während wir gefracktes Gas aus Übersee beziehen – mit längeren Transportwegen, höheren Kosten und einer schlechteren Klimabilanz.
Diese Haltung führt zu einer paradoxen Situation: der Wunsch nach einer ökologischeren Energieversorgung wird unterlaufen durch Entscheidungen, die teurer, langsamer und nicht zwingend nachhaltiger sind. Gleichzeitig verpasst Deutschland den Anschluss an eine pragmatisch‑technologieoffene Energiezukunft, wie sie andere Industrienationen längst verfolgen.
Wer zukunftsfähige Industriepolitik betreiben will, muss bereit sein, unbequeme, aber durchdachte Kompromisse zu schließen – jenseits von Schwarz‑Weiß‑Denken. Es geht nicht um Ideologien, sondern um Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und wirtschaftliche Resilienz. Eine moderne Infrastruktur braucht Mut zur Realität – nicht Rückzug in Prinzipientreue.
5. Demografischer Wandel als verdecktes Risiko
Früher war steigende Arbeitslosigkeit ein Warnsignal für wirtschaftliche Ineffizienz. Heute wird dieser Zusammenhang durch den demografischen Wandel überdeckt. Der Fachkräftemangel lässt die Arbeitslosigkeit sinken – und vermittelt damit ein trügerisches Bild wirtschaftlicher Stärke. Tatsächlich wachsen die strukturellen Probleme weiter.
Aussagekräftigere Kennzahlen wie Bruttowertschöpfung pro Kopf oder der Arbeitsproduktivitätsindex zeigen deutlicher, ob mit weniger Erwerbstätigen genügend wirtschaftliche Leistung erbracht wird, um den Wohlstand in einer alternden Gesellschaft zu sichern. Beide Kennzahlen stagnieren – mit spürbaren Folgen für die Finanzierbarkeit sozialer Systeme.
Die Kosten werden zunehmend auf noch wettbewerbsfähige Wertschöpfungsbereiche abgewälzt, was deren globale Wettbewerbsfähigkeit schwächt und eine Verlagerung in kostengünstigere und dynamischere Wirtschaftsregionen begünstigt. Um den Wohlstand der Gesamtbevölkerung dennoch zu sichern, müssen künftig weniger Menschen effizienter und effektiver Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entwickeln und bereitstellen.
Besonders in der Rentenpolitik besteht akuter Handlungsbedarf: Es braucht eine Neuausrichtung hin zu tragfähigen Misch‑systemen, die dem demografischen Wandel standhalten. International bewährte Modelle mit verpflichtenden kapitalgedeckten Elementen (Schweden, Schweiz) kombinieren Generationengerechtigkeit mit langfristiger Stabilität. Der aktuelle Koalitionsvertrag verschiebt diese Aufgaben eher, als dass er sie konsequent angeht – obwohl die Zeit drängt.
6. Schuldenfinanzierter Wohlstand – ein gefährlicher Irrweg
Statt überfällige strukturelle Reformen in Bereichen wie Steuerrecht, Sozialversicherung, Bildungswesen oder Verwaltung mutig anzugehen, wird der gegenwärtige Wohlstand zunehmend durch neue staatliche Schulden finanziert. Die expansive Fiskalpolitik der letzten Jahre – legitimiert durch Ausnahmesituationen wie Finanzkrise, Pandemie oder Energiepreisschock – ist zur Regel geworden.
Gleichzeitig wird die Instandhaltung und Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur vernachlässigt. Brücken, Schulen, Bahnstrecken, Verwaltungs‑IT und digitale Netze verfallen, während sich laut KfW‑Infrastrukturbericht eine Investitionslücke von derzeit rund 186 Mrd. € auftut.
In der politischen Kommunikation dominiert dennoch das Narrativ: »Deutschland ist ein reiches Land.« Was dabei übersehen wird: Wohlstand ist kein statischer Zustand, sondern muss durch Zukunftsinvestitionen, Innovation und leistungsfähige Institutionen immer wieder neu erarbeitet werden.
Wir brauchen die Besinnung auf die Soziale Marktwirtschaft in Wohlstand das Ergebnis von Freiheit, Verantwortung und Leistung – nicht von politisch organisierter Umverteilung ist.
7. Der Weg aus der Spirale: Lean, agil, digital, KI
Der Ausweg aus der Produktivitätsfalle liegt in einer klar strukturierten Vorgehensweise – mit konsequentem Fokus auf Effizienz, Zusammenarbeit und Technologieeinsatz:
- Lean Management identifiziert Verschwendung und richtet Abläufe am Kundennutzen aus.
- Agiles Arbeiten ermöglicht flexibles Reagieren auf Veränderungen durch iterative Entwicklung, schnelles Lernen und enge Zusammenarbeit.
- Digitalisierung überführt analoge Prozesse in digitale Formate, verbessert die Informationsqualität und beschleunigt Entscheidungen.
- Automatisierung standardisiert wiederkehrende Abläufe, steigert Effizienz und reduziert Fehler.
Effizienzgewinne ermöglichen langfristig eine niedrigere Steuerquote und stärken systemrelevante, ortsgebundene Tätigkeitsbereiche – von der Pflege bis zur industriellen Produktion.
8. Produktivität als kulturelle Aufgabe
Produktivität ist nicht allein eine Frage von Technik, sondern vor allem von Haltung und Kultur. Es geht darum, eine Arbeitskultur zu etablieren, in der kontinuierliche Verbesserung selbstverständlich ist und Mitarbeitende aktiv an der Optimierung von Prozessen mitwirken.
Höhere Produktivität darf dabei nicht mit höherer Belastung verwechselt werden. Ziel ist es, durch Lean‑ und agile Methoden Prozesse von unnötigen Tätigkeiten zu befreien, Arbeitsabläufe intelligenter zu gestalten und – wo sinnvoll – digitale Werkzeuge und Automatisierung einzusetzen.
Die Initiative beginnt bei den Menschen vor Ort: in Teams, Werkstätten, Büros und Verwaltungen. Mehr Einbindung führt dabei nicht selten zu größerer Zufriedenheit – weil monotone, belastende Tätigkeiten reduziert und kreative, sinnstiftende Aufgaben gestärkt werden.
9. Verankerung in der Sozialen Marktwirtschaft und Bildungsauftrag
Dieser Weg der produktiven Modernisierung steht in der Tradition der Sozialen Marktwirtschaft in der Eigenverantwortung, Wettbewerb und Produktivität – die Grundlage für »Wohlstand für alle« ist. Es gilt: Produktivität entsteht nicht durch Kontrolle von außen, sondern durch dezentrale Initiative, Mut zur Veränderung und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Bildung spielt dabei eine Schlüsselrolle – auf drei Ebenen:
- Fachliche Kompetenz für moderne Methoden und Technologien.
- Haltung von Offenheit, Selbstverantwortung und Gestaltungsfreude.
- Gesellschaftliches Fundament für eine Kultur der Innovation, in der Veränderung als Chance erlebt wird.
Die Vermittlung von Lean‑, agilen und kontinuierlichen Verbesserungsmethoden muss systematisch in die berufliche und, wo sinnvoll, in die akademische Bildung integriert werden. Hochschulen – insbesondere Verwaltungshochschulen – sollten Institute einrichten, die Implementierung und Wirkungsanalyse dieser Methoden erforschen.
10. Kulturwandel als Voraussetzung nachhaltiger Produktivität
In der digitalen und transformationsgetriebenen Arbeitswelt reicht es nicht mehr aus, Produktivität nur technisch oder prozessual zu denken. Entscheidend ist ein gelebter Kulturwandel: Mitarbeitende müssen Prozesse hinterfragen, Verantwortung übernehmen und aktiv zur Verbesserung beitragen. Erst wenn Technik und Haltung zusammenspielen, entsteht echte Wettbewerbsfähigkeit.
11. Fazit
Deutschland kann die Teufelsspirale aus Kosteninflation, Fachkräftemangel und sinkender Wettbewerbsfähigkeit nur durch einen produktivitätsgetriebenen Strukturwandel durchbrechen. Lean, Agilität, Digitalisierung und ein konsequenter Kulturwandel sind die Hebel – flankiert von einer Politik, die auf Leistung, Verantwortungsbewusstsein und generationengerechte Finanzierungsprinzipien setzt.
Sieben Prioritäten leiten sich daraus ab:
1. Produktivität zuerst: Jede Regulierung, jede Lohnrunde und jede öffentliche Investition muss den Produktivitätstest bestehen. Fortschritt misst sich an Wertschöpfung pro Stunde, nicht an Geldumsatz oder Beschäftigungszahlen.
2. Lean vor digital: Prozesse erst entschlacken, dann automatisieren und digitalisieren. Das schafft schnelle Effizienzsprünge – besonders in Verwaltung, Gesundheit und Bau.
3. Fachkräfte binden und aktivieren: Qualifizierung, moderne Arbeitsmodelle und eine strategische, kompetenzbasierte Zuwanderungspolitik statt Flickwerk.
4. Technologieoffene Energie‑ und Infrastrukturstrategie: Versorgung sichern, Kosten im Griff halten und Genehmigungen radikal beschleunigen. Ideologiefreiheit senkt Preise und erhöht Resilienz.
5. Fiskalische Ehrlichkeit: Schuldenbremse wahren, implizite Rentenschulden offenlegen und tragfähige Misch‑systeme schaffen. Konsumausgaben dürfen Zukunftsinvestitionen nicht verdrängen.
6. High‑Tech‑Offensive: Souveränität in Schlüsseltechnologien (KI, Quanten, Biotech, neue Energien) ausbauen, Start‑ups und Deep‑Tech‑Cluster fördern, öffentliche Beschaffung innovativ gestalten und F&E‑Ausgaben auf mindestens 3,5 % des BIP steigern.
7. Kapitalmarkt stärken: Zugang zu Eigen‑ und Risikokapital erleichtern, Wagniskapitalfonds und Aktienkultur fördern, Pensions‑ und Staatsfonds als langfristige Investoren in Innovation einbinden und Börsengänge vereinfachen.
Gelingt dieser Kurs, bleibt Deutschland ein Hochlohnland mit hoher Lebensqualität. Misslingt er, wandern Wertschöpfung, Wohlstand und sozialer Zusammenhalt schrittweise ins Ausland ab. Der Weg ist anspruchsvoll, aber machbar – wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entschlossen zusammenwirken.