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Batterie

Kann Europa Batterie?

Technologische Souveränität zwischen Anspruch und Realität

Eine Bestandsaufnahme von der Rohstoffgewinnung bis zur Produktion und Wertschöpfung

Europa steht unter Druck: Batterien sind das Herzstück der Energiewende – für Elektrofahrzeuge, stationäre Speicher und den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Ohne eigene Batterieproduktion droht Europa, zum reinen Absatzmarkt für asiatische Hersteller zu werden – mit allen wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken.

Die EU-Zielsetzung, bis 2030 90 % des Batteriebedarfs aus eigener Produktion zu decken, klingt ambitioniert, ist aber nach aktueller Lage weit entfernt von der Realität.


Orientierung an den 5 Säulen des Handelns

Der Weg zur technologischen Souveränität in der Batteriewertschöpfung ist kein Einzelschritt, sondern erfordert ein ganzheitliches Zusammenspiel aus fünf zentralen Handlungsfeldern:

  1. Deep & High Tech – Technologische Führungsfelder aufbauen

  2. Mid Tech – Industrielle Wertschöpfung sichern und skalieren

  3. Kapitalmarkt – Wachstum, Investitionen und Unternehmertum ermöglichen

  4. Bildung & Kompetenz – MINT-Fachkräfte und Produktionskultur entwickeln

  5. Politik – Umsetzung sichern, industrielle Transformation flankieren

Die in diesem Beitrag beschriebenen Maßnahmen orientieren sich an diesen fünf Säulen – weil echte Souveränität nur im Zusammenspiel von Technologie, Industrie, Kapital, Menschen und politischem Handeln gelingt.


1. Der Ausgangspunkt: Wachsende Nachfrage, aber unsichere Versorgung

Prognosen zeigen, dass Europas Batteriebedarf bereits 2030 über 1 TWh jährlich betragen wird – vorangetrieben vor allem durch die Elektromobilität. Doch Produktionskapazitäten und realistische Markthochläufe hinken hinterher. Studien wie jene des Fraunhofer ISI und Veröffentlichungen in Nature Energy bestätigen:

  • 50–60 % Eigenversorgung erscheinen machbar,

  • 90 % bleiben jedoch unsicher,

  • Produktionskompetenz wird als größter Engpass erkannt.


2. Rohstoffzugang: Europas strategische Achillesferse

Europa ist heute bei Lithium, Kobalt, Nickel, Mangan und Graphit zu fast 100 % importabhängig. China hat sich durch langfristige Investitionen weltweit Zugriffsrechte auf Minen und Raffinerien gesichert – in Afrika, Australien, Südamerika. Europa versucht gegenzusteuern, etwa mit dem Critical Raw Materials Act und Förderzielen für eigene Rohstoffprojekte. Doch Genehmigungen, Proteste und fehlende Investoren bremsen den Fortschritt.


3. Materialkompetenz: Asiens technologische Vormachtstellung

Chinesische Unternehmen dominieren die Veredelung und Massenproduktion von Batteriematerialien:

  • 90 % der Anoden (Graphit)

  • 70–75 % der Kathoden (z.B. NMC, LFP)

  • 85–90 % der Elektrolyte

  • über 50 % der Separatoren

Europäische Materialproduzenten wie Vianode oder einzelne Kathodenentwickler sind noch zu klein, um strategische Unabhängigkeit zu schaffen. Innovationsthemen wie Silizium-Graphit-Verbundstoffe oder LFP-Cell-to-Pack-Technologien werden weiterhin vorwiegend in China industrialisiert.


4. Produktionskompetenz: Der wahre Engpass

Produktionskompetenz bedeutet:

  • Serienreife Prozesse mit stabiler Ausbeute,

  • Hochlauf von Pilotlinien zu Gigafactories,

  • Prozessstabilität bei großem Volumen.

Hier liegt Europas größte Lücke:

  • Viele Ankündigungen (z.B. Northvolt, ACC, PowerCo) scheitern oder verzögern sich massiv.

  • Skalierung und Serienfertigung werden unterschätzt oder nicht beherrscht.

  • Asiatische Hersteller wie CATL oder LG Energy bringen Jahrzehnte an Erfahrung mit – europäische Player müssen das erst noch lernen.

Produktionskompetenz kann man nicht kaufen – man muss sie aufbauen. Und das braucht Zeit, Know-how, Personal und Kapital.


5. Zersplitterte Wertschöpfungskette

Europa hat keine durchgängig geschlossene Batterieindustrie:

  • Rohstoffzugang fehlt,

  • Materialproduktion ist schwach,

  • Zellfertigung stockt,

  • Recycling steckt in den Anfängen.

Erste Projekte, wie Northvolt Ett in Schweden oder Vianode in Norwegen, sind noch Einzelinseln – keine industriell belastbare Kette.


6. Politische Initiativen reichen nicht aus

Programme wie:

  • European Battery Alliance

  • Net-Zero Industry Act

  • Critical Raw Materials Act

… setzen richtige Ziele, doch Umsetzung, Genehmigungen und industrielle Realität bleiben zu langsam und zu kleinteilig. Statt koordiniertem Hochlauf erleben wir Überforderung und Verzögerungen.


7. Globale Überkapazitäten – aber keine Versorgungssicherheit

Zwar entstehen weltweit neue Kapazitäten – doch die Marktmacht bleibt asiatisch geprägt:

  • China nutzt strategische Verträge und Exportkontrollen (z.B. Graphit-Embargo seit 2023) als politisches Druckmittel.

  • Westliche Überkapazitäten können ohne Produktionskompetenz und Lieferkontrolle schnell wertlos sein.


8. Kosten und Preisdruck verschärfen die Lage

Die Materialkosten sinken weltweit – vor allem in China dank Skaleneffekten und Industriepolitik:

  • Anodenpreise haben sich seit 2010 halbiert.

  • Kathodenpreise sind stark gefallen, bleiben aber der teuerste Kostenblock.

  • Europa kann bisher keine wettbewerbsfähigen Preise bieten, da die Industrialisierung fehlt.


9. Was lernen wir daraus?

1. Im konkreten Fall der Batterieproduktion

  • Ankündigungen ersetzen keine Produktion. Es reicht nicht, Kapazitäten zu verkünden – sie müssen realisiert, hochgefahren und betrieben werden.

  • Produktionskompetenz ist der wahre Engpass. Ohne beherrschte Prozesse, erfahrene Teams und stabile Lieferketten bleibt Europa abhängig.

  • Politik muss schneller von der Strategie in die Umsetzung kommen. Langwierige Genehmigungen, unzureichende Förderung der Umsetzung und fehlende industrielle Begleitung verzögern den Markthochlauf.

  • Die Industrie hätte früher handeln müssen. Es zeigt sich, dass strategisches Portfoliomanagement, Marktfrüherkennung und der Aufbau eigener Wertschöpfungsketten nicht rechtzeitig erfolgten. Verantwortung wurde zu lange an Dritte abgegeben.

2. Im übertragenen Sinn für andere strategische Schlüsselindustrien

  • Industriepolitik darf sich nicht auf Zielvorgaben und Förderbescheide beschränken. Sie muss den gesamten Weg von der Ankündigung bis zur industriellen Exzellenz begleiten.

  • Kompetenz- und Produktionsaufbau gehören in den Mittelpunkt jeder strategischen Technologiepolitik. Ohne operative Umsetzungskompetenz bleiben strategische Ziele Luftschlösser.

  • Europa muss lernen, Wertschöpfungsketten vollständig zu denken und zu schließen. Von Rohstoffen über Technologien bis zum Recycling muss jede Lücke aktiv geschlossen werden – sonst entstehen neue Abhängigkeiten.


10. Gesellschaftliche und unternehmerische Voraussetzungen – Was wir zusätzlich brauchen

1. Wachstumsstreben und Unternehmertum stärken

  • Batterien sind ein Paradebeispiel dafür, dass es mehr Mut zum Wachstum, zum Risiko und zu neuen Geschäftsmodellen braucht.

  • Unternehmen müssen sensibler und systematischer Markt- und Konkurrenzanalysen betreiben, nicht nur aus technischer, sondern auch aus strategischer und geopolitischer Perspektive.

  • Wir brauchen mehr unternehmerischen Ehrgeiz, in neue Wertschöpfungsfelder frühzeitig und mit Konsequenz einzusteigen – anstatt zu zögern, bis es zu spät ist.

  • Industrie, Start-ups und Kapitalmärkte müssen enger zusammenspielen, um technologische und industrielle Exzellenz mit Marktchancen zu verbinden.

2. Mehr Menschen in MINT-Berufen – und das von klein auf

  • Technologische Souveränität braucht Köpfe – vor allem in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT).

  • Das Interesse an Technik entsteht nicht erst im Studium, sondern zu Hause, im Kindergarten und in der Grundschule.

  • Eltern, Schulen und Gesellschaft müssen Kinder früh für Technik begeistern – durch Experimentierfreude, Tüftelprojekte und greifbare Vorbilder.

  • Berufsorientierung muss zeigen, dass MINT-Berufe Schlüsselberufe für unsere Zukunft sind – nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern für den Wohlstand insgesamt.

Lektion daraus: Technologieoffenheit, Wachstumsmut und frühe MINT-Förderung sind zentrale Stellhebel, um nicht nur Batterien, sondern auch künftige Schlüsseltechnologien aktiv mitzugestalten, anstatt passiv von anderen abhängig zu bleiben.


Handlungsempfehlungen für Industrie und Politik

Für die Industrie

  1. Frühe Markt- und Portfolioentscheidungen treffen

  2. Produktionskompetenz konsequent aufbauen

  3. Konkurrenzanalysen systematisch betreiben

  4. Wachstums- und Unternehmertumskultur stärken

  5. MINT-Fachkräfte und Produktionskultur entwickeln

Für die Politik

  1. Wertschöpfungsketten durchgängig denken und fördern

  2. Genehmigungs- und Investitionsprozesse beschleunigen

  3. Kapitalmarkt mobilisieren

  4. Bildungsoffensive für MINT und Produktion starten

  5. Europäische Industriepolitik wirksam umsetzen


Zusammenfassung

Europa hat viel vor, aber wenig realisiert.

Wertschöpfung – Werte schöpfen zu können – fällt nicht vom Himmel.
Es braucht Strategen, die frühzeitig die Weichen stellen.
Es braucht Ingenieure, die mit ihren Teams Produktionskompetenz aufbauen, Fabriken hochfahren und Marktbedarf bedienen.

Europa kann Batterie – wenn es jetzt konsequent liefert. Dazu müssen Politik, Industrie und Gesellschaft ihre Ankündigungen in industrielles Handeln übersetzen, Kompetenzen aufbauen, Investitionen freisetzen und junge Menschen für Technik begeistern.

Der Weg zu echter technologischer Souveränität ist möglich – aber er beginnt heute, nicht morgen.

 

 

Quellen und weiterführende Literatur

Wichtige Studien und Analysen:

 

  • Link, S. et al. (2025).

    Feasibility of meeting future battery demand via domestic cell production in Europe,

    Nature Energy 10, 526–534. DOI: 10.1038/s41560-025-01701-3

  • Link, S. et al. (2025).

    Reliable industrial policies required to support the ramp-up of European battery production,

    Nature Energy 10, 433–434. DOI: 10.1038/s41560-025-01722-y

  • Gökay Sirma & Tim Wicke (2025):

    Umkämpfter Markt für Batterie-Materialien: Marktführer, Technologien und Kosten in der Analyse, Fraunhofer ISI.

 

 

Relevante politische Dokumente:

 

 

 

 

Markt- und Branchenanalysen:

 

 

  • BloombergNEF (2024):

    Global Lithium-Ion Battery Supply Chain Ranking.

  • IEA (2022):

    Global Supply Chains of EV Batteries.

 

 

Branchenberichte und Fachpresse:

 

 

 

 


 

 

Literaturhinweis

 

Wer tiefer einsteigen möchte, dem empfehle ich:

 

  • Philippe Jacques, Patrick Plötz, Michael Clauser (Hg.) (2024)

    Batteriezellfertigung in Europa: Technologien, Märkte und Strategien.

    Springer Vieweg Verlag, Berlin.

 

Europa kann Batterie – wenn es jetzt konsequent liefert. Dazu müssen Politik, Industrie und Gesellschaft ihre Ankündigungen in industrielles Handeln übersetzen, Kompetenzen aufbauen, Investitionen freisetzen und junge Menschen für Technik begeistern.

Der Weg zu echter technologischer Souveränität ist möglich – aber er beginnt heute, nicht morgen.