Herausforderung Energieversorgung
Zwischen Strom, Molekülen und Prozesswärme – ein realistischer Blick auf das Energiezieldreieck
- Das Energiezieldreieck – ein komplexes Spannungsfeld
Die Energiewende steht im Zeichen eines Zielkonflikts, der im sogenannten Energiezieldreieck sichtbar wird. Es besteht aus drei zentralen Anforderungen:
- Versorgungssicherheit: Energie muss jederzeit in ausreichender Menge verfügbar sein – auch bei Dunkelflauten, saisonalen Spitzen und geopolitischen Krisen.
- Wirtschaftlichkeit: Energiepreise müssen für Verbraucher und Unternehmen tragbar sein, um Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Frieden zu sichern.
- Klimaverträglichkeit: Die Energieversorgung muss treibhausgasarm oder -frei gestaltet werden, um die Klimaziele zu erreichen.
Diese drei Ziele stehen nicht selten in Konflikt zueinander. Wer Klimaziele überstürzt angeht, riskiert Preisexplosionen und Versorgungslücken. Wer Versorgungssicherheit primär durch fossile Energieträger absichert, konterkariert den Klimaschutz. Umso wichtiger ist ein realistischer und technologieoffener Umgang mit den Zielkonflikten – jenseits ideologischer Verengungen.
- Energie ist mehr als Strom – das Spektrum der Bedarfe
Oft wird Energiepolitik mit Strompolitik gleichgesetzt. Doch Energie umfasst weit mehr:
- Elektrische Energie: zentrale Säule für Industrie, Haushalte und Mobilität, zunehmend durch Erneuerbare erzeugt.
- Moleküle: gasförmige und flüssige Energieträger wie Wasserstoff, Methan oder E-Fuels sind speicherbar und transportierbar – essenziell für Industrie, Mobilität und saisonale Speicherung.
- Prozesswärme: insbesondere Hochtemperaturwärme über 900 °C bis teils über 1.000 °C wird in der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie benötigt. Diese Temperaturbereiche sind mit elektrischer Energie nur schwer und oft unwirtschaftlich zu erreichen. Heute sind dafür überwiegend fossile Brennstoffe im Einsatz – Alternativen wie Wasserstoff oder nukleare Hochtemperaturprozesse müssen erst skaliert werden.
- Stoffliche Bedarfe in der Grundstoffindustrie, die technisch keine Energie sind, aber stark mit dem Energiesystem verknüpft sind: z. B. Wasserstoff als Reduktionsmittel in der Stahlerzeugung oder als Ausgangsstoff in der Ammoniaksynthese.
Eine erfolgreiche Energiepolitik muss sektorenübergreifend denken und den Bedarf in seiner ganzen Vielfalt betrachten – nicht nur in Kilowattstunden, sondern in Funktion und Nutzbarkeit.
- Der richtige Mix – Technologieoffenheit statt Einheitslösung
Ein zukunftsfähiges Energiesystem braucht einen klug ausgewogenen Energiemix, der auf unterschiedliche Stärken setzt:
- Erneuerbare Energien liefern sauberen Strom, sind aber wetterabhängig und volatil. Hans-Werner Sinn prägte dafür den Begriff „Zappelstrom“. Diese Volatilität muss systemisch beherrscht werden – etwa durch Speicher, Flexibilität, Lastmanagement und Netzstabilisierung.
Infobox 1: Speicher und Backuplösungen
- Batteriespeicher und Wasserpumpspeicherkraftwerke
- Molekulare Speicherlösungen wie Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe
- Thermische Kraftwerke (idealerweise mit Carbon Capture)
- Kernenergie, insbesondere neue Technologien wie SMRs
Regionale Unterschiede im EE-Potenzial beeinflussen die Standortstrategie:
- Windkraft: Norddeutschland bis zu 50 % OEE, Süddeutschland teils unter 30 %
- Photovoltaik: in Süddeutschland, Spanien, Australien oder Namibia besonders effizient – mit mehr als dem Doppelten der deutschen OEE (~12 %)
- Grönland liefert fast ausschließlich Windenergie mit hoher Stabilität
Diese Unterschiede führen zu dezentral unterschiedlichen Erzeugungsschwerpunkten – was wiederum hohe Anforderungen an Netzinfrastruktur, Speicherkapazitäten und Steuerungssysteme stellt. Das erfordert differenzierte Strategien, die Standortqualität, Netzanbindung und Speicherfähigkeit intelligent verbinden.
- Typische Volatilität erneuerbarer Energien
- Photovoltaik zeigt eine vollständige Tagesvolatilität: Die Erzeugung liegt nachts bei null und steigt mittags auf bis zu 100 % der Leistung – völlig vorhersehbar, aber systemisch herausfordernd.
- Windenergie, insbesondere Onshore, unterliegt kurzfristigen und schwerer prognostizierbaren Schwankungen: Einspeisung kann innerhalb von 24 Stunden um bis zu 80 % variieren.
- Offshore-Windanlagen liefern konstantere Leistung, schwanken aber ebenfalls mit bis zu 60 % pro Tag.
- In Dunkelflauten – mehrtägigen Wetterlagen ohne Sonne und Wind – kann die Einspeisung aus Erneuerbaren auf unter 5 % der theoretisch möglichen Leistung fallen.
Diese Wetterabhängigkeit wirkt sich direkt auf die Stabilität des Stromsystems aus – und damit auf Preise, Versorgungssicherheit und Systemkosten.
- Systemische Relevanz der Volatilität
Die hohe Volatilität führt zu starken Schwankungen der Residuallast – teils 10–15 GW im Tagesverlauf. Dies erfordert flexible Backupkraftwerke, Speicher, internationale Netze und Lastmanagement.
- Dunkelflauten – Strategien und Grenzen
Dunkelflauten sind mehrtägige Phasen mit wenig Wind und Sonne, bei gleichzeitig hohem Energiebedarf (z. B. im Winter). Maßnahmen:
- Backupkraftwerke (z. B. Gaskraftwerke, Kernenergie)
- Saisonale Speicher wie Wasserstoff
- Lastmanagement und Sektorkopplung
- Batteriespeicher und Wasserpumpspeicherkraftwerke
- Europäische Stromverbünde
- Netzinfrastruktur – Rückgrat der Energiewende
Netze gleichen regionale Unterschiede aus und sichern Systemstabilität. Funktionen:
- Geografischer Ausgleich
- Zeitlicher Ausgleich (Redispatch, Flexibilität)
- Stabilisierung von Spannung und Frequenz
Infobox 3: Netzstruktur und 50 Hz
- Die Frequenz von 50 Hz gilt im gesamten Wechselstromsystem – vom Kraftwerk bis zur Steckdose
- Aktiv geregelt im Übertragungsnetz, passiv mitgeführt in Verteilnetzen
- HGÜ-Leitungen (z. B. SuedLink) nutzen Gleichstrom (z. B. ±320 kV)
- Grenzen von Speichern und warum Regelenergie bleibt
- Batteriespeicher: ideal für Primärregelung, aber begrenzte Kapazität
- Wasserpumpspeicherkraftwerke: große Leistung, aber topografieabhängig
- Beide sind notwendig, aber nicht hinreichend
Infobox 4: Warum Regelenergie unverzichtbar ist
- Frequenzstabilität benötigt Momentanreserve
- Dunkelflauten und Lastspitzen erfordern steuerbare Kraftwerke
- Spannung und Blindleistung erfordern konventionelle Technik
- Systemische Grenzen und Herausforderungen
Batteriespeicher und Wasserpumpspeicherkraftwerke leisten heute bereits wichtige Beiträge zur Netzstabilisierung. Doch sie sind nicht die alleinige Lösung, wenn es um eine vollständig versorgungssichere und resiliente Energieversorgung geht.
Grenzen von Batteriespeichern:
- Extrem schnelle Reaktionsfähigkeit (Sekundenbereich)
- Ideal für Frequenzstützung und kurzzeitige Netzdienstleistungen
- Begrenzte Speicherkapazität: puffern meist nur für wenige Stunden
- Nicht für Dunkelflauten oder saisonale Speicher geeignet
- Kostenintensiv, insbesondere für Langzeitanwendungen
- Rohstoffbedarf und Alterung schränken Skalierbarkeit ein
Grenzen von Wasserpumpspeicherkraftwerken:
- Technisch bewährt und zuverlässig
- Hohe Leistung (GW-Bereich) und gute Speicherdauer (bis zu 24 Stunden)
- Topografieabhängig – nur in Gebirgsregionen realisierbar
- Ausbaubegrenzt in Mitteleuropa wegen Flächenverbrauch und Umweltschutz
- Nicht für saisonale Speicheranwendungen geeignet
- Startzeiten oft im Minutenbereich – nicht ideal für Primärregelung
Warum bleibt Regelenergie notwendig?
Trotz aller Fortschritte bei Speichern braucht es weiterhin klassische und flexible Erzeuger für Regelenergie – insbesondere in folgenden Fällen:
- Plötzliche Laständerungen oder Störungen im Netz (z. B. Kraftwerksausfall)
- Frequenzstabilisierung (50 Hz) verlangt rotierende Trägheit oder spezialisierte Leistungselektronik
- Längere Dunkelflauten (mehrere Tage) erfordern steuerbare Kraftwerke
- Spannungsstabilität und Blindleistung können nicht alle Speichertechnologien liefern
- Fazit: Ein resilientes Energiesystem braucht...
- Sektorenübergreifende Bedarfsanalyse
- Technologieoffene Lösungen
- Ausbau und Steuerung von Netzen
- Speicher, Flexibilität, Backupkraftwerke
- Ein Gesamtsystem mit intelligenter Architektur
📌 Die Energiewende gelingt nur, wenn Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz im Dreiklang gedacht und umgesetzt werden.