Springe zum Inhalt

KI Haltung

Die KI nutzen – und dabei ein mündiger Mensch bleiben

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) stellt unsere Gesellschaft, Bildung, Wirtschaft und unser Selbstbild vor grundsätzliche Fragen. Aus meinem Verständnis von Verantwortung, Bildung, Sozialer Marktwirtschaft und dem gesellschaftlichen Auftrag heraus ergeben sich mehrere zentrale Gedanken:

1. Technik nutzen, ohne sich selbst zu verlieren

Europa und insbesondere Deutschland stehen vor der Herausforderung eines umfassenden technologischen Updates – nicht aus nationalem Ehrgeiz, sondern zur Sicherung von Wohlstand, Innovationskraft und politischer Handlungsfähigkeit. Die Idee eines “CERN für KI” kann dabei ein zentraler Baustein sein: ein europäisches Spitzenzentrum, das Grundlagenforschung, industrielle Anbindung, Praxisrelevanz und Bildung zusammenführt. Entscheidend ist dabei nicht technologische Autarkie, sondern technologische Souveränität – also die Fähigkeit, Entwicklungen aktiv mitzugestalten, anstatt ihnen ausgeliefert zu sein.

Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen deutsche Unternehmen den Einsatz Künstlicher Intelligenz nicht nur deutlich ausweiten, sondern vor allem zielgerichtet und wirksam gestalten. Dabei gilt: Der Fisch fängt vom Kopf an erfolgreich zu werden. Die Implementierung von KI muss aktiv durch die Unternehmensleitung getragen und – wo erforderlich – konsequent eingefordert werden. Das bedeutet: Künstliche Intelligenz braucht einen festen Platz in den jährlichen Businessplänen sowie in der daraus abgeleiteten Maßnahmenplanung – strukturell, finanziell und kulturell verankert. Gerade das obere Management muss KI nicht nur befürworten, sondern konkrete betriebliche Strukturen und Qualifizierungsmaßnahmen anstoßen. KI sollte fester Bestandteil der jährlichen Businessplanung sein und als strategisches Element zur Zukunftssicherung verankert werden.

2. Beispielanwendungen: Industrielle KI & Business-Ecosystems

Künstliche Intelligenz entfaltet ihr Potenzial optimal in vernetzten Strukturen – sogenannten Business Ecosystems. Hier kooperieren Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Start‑ups, Industrie und Mittelstand bei Entwicklung, Implementierung und Skalierung konkreter KI‑Lösungen.

Ziel dieser Ökosysteme ist es, KI als Enabler für Resilienz, Effizienz und Nachhaltigkeit zu nutzen – etwa durch intelligente Datennutzung, partizipative Umsetzung und eine neu gedachte Wertschöpfung. Die Erfahrung zeigt: Statt Insellösungen braucht es kooperative Plattformen, die Wissen, Technologie und Praxis integrativ zusammenführen.

Initiativen am KIT, in Stuttgart und Aachen liefern erste Impulse – doch ein systematisch vernetzter Ansatz auf europäischer Ebene fehlt weiterhin.

Exemplarisch: Die Technische Universität München (TUM) unterstützt KI‑Start‑ups mit hoher Expertise und betreibt das KI‑Lab als aktiv gelebtes Business Ecosystem. Dort werden auch traditionelle Unternehmen an KI‑Transformationsprozesse herangeführt. Besonders hervorzuheben ist die jüngste Transferleistung in Kooperation mit der Lidl‑Schwarz‑Stiftung in Heilbronn, wo ein weiterer KI‑Hub entsteht, der das baden‑württembergische Umfeld mittels KI‑Ecosystems weiter befruchtet.

KI-Bildung als Grundlage für industrielle Zukunftsfähigkeit
Die konsequente Integration von KI in Bildungsprogramme ist essenziell, um den Fachkräftemangel zu adressieren und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industrieunternehmen zu sichern. KI-Bildung umfasst dabei nicht nur technische Fähigkeiten, sondern auch die Fähigkeit, KI als Enabler und Unterstützer im Produktionsprozess zu verstehen und effektiv einzusetzen. Der Aufbau spezifischer Qualifikationsangebote, beispielsweise in Innovationszentren wie Erding, trägt entscheidend zur Entwicklung einer qualifizierten, KI-kompetenten Fachkräftebasis bei und fördert gleichzeitig eine agile und zukunftsfähige Arbeitskultur.

3. Persönlichkeitsbildung als Voraussetzung für KI‑Kompetenz

Die größte Gefahr der KI liegt nicht in ihrer Überlegenheit, sondern in der schleichenden Unterforderung des Menschen. Wenn wir KI blind nutzen, verlieren wir unser Urteilsvermögen – und mit ihm Verantwortung. Bereits heute zeigen sich negative Folgen: Reizüberflutung, oberflächliche Kommunikation, eingeschränkte Aufmerksamkeit, reduzierte Konfliktfähigkeit sowie die Neigung, Narrative ungeprüft zu übernehmen.

KI kann uns denken entlasten – doch gleichzeitig verleiten, selbst das Denken zu verlernen. Deshalb muss Bildung neu gedacht werden: nicht als Bedienkompetenz, sondern als Persönlichkeitsreifung. Wir brauchen Selbstreflexion, ethisches Urteilsvermögen, Abstraktionsfähigkeit und Systemdenken. Die Bildungsinhalte der Schulen und Hochschulen sollten daher systematisch um persönlichkeitsprägende Elemente erweitert werden: Nur wer sich selbst führen kann, kann KI souverän einsetzen.

Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den Generationen zeigt sich im Umgang mit KI-Ergebnissen: Die ältere Generation, die noch mit systemischen Zusammenhängen, physikalischen Abläufen und industriellen Prozessen aufgewachsen ist, kann viele KI-Ergebnisse – gedanklich fundiert oder intuitiv – auf Plausibilität prüfen. Denn sie hat Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge tief verinnerlicht. Jüngere Generationen hingegen wachsen in eine KI-geprägte Welt hinein, in der diese Zusammenhänge nicht mehr selbstverständlich präsent sind. Wenn Bildung es versäumt, Systemdenken, Abstraktionsfähigkeit und kritisches Urteilsvermögen zu vermitteln, wird aus technologischer Kompetenz schnell eine gefährliche Abhängigkeit. Deshalb gilt: Wer mit KI aufwächst, braucht mehr als Bedienkompetenz – er braucht ein tiefes Verständnis für das, was unter der Oberfläche wirkt. Nur so bleibt der Mensch Subjekt der Technologie.

Reife und Reifeprüfung im KI‑Zeitalter

  • Ethik, Selbstreflexion und Kommunikationsfähigkeit werden zentral.

  • Der Begriff „Reifeprüfung“ muss neu definiert werden: nicht primär als Abschluss, sondern als Durchgang, der zur selbstverantworteten und reflektierten gesellschaftlichen Teilhabe befähigt.

  • Künstliche Intelligenz verlangt von uns, was bisher oft als selbstverständlich galt: die bewusste Gestaltung unseres Menschseins. Die Reifeprüfung im klassischen Sinne – einst Symbol für Verantwortungsfähigkeit, Selbstreflexion und Urteilskraft – sollte im digitalen Zeitalter eine Renaissance erleben.

  • Wir brauchen eine neue Reifeprüfung des 21. Jahrhunderts – mit Selbstreflexion, Konfliktfähigkeit und persönlichkeitsbildenden Curricula – und zwar innerhalb wie außerhalb von Schulen und Hochschulen.

4. Systemisches Denken, Soft Skills & Managementprinzipien

Der Umgang mit KI erfordert mehrsystemisches Verständnis – wie Technik, Mensch, Organisation und Ethik zusammenwirken. Dazu gehören:

  • Achtsamkeit und Aufmerksamkeit

  • Theoriekompetenz (u.a. Presencing / Theorie U)

  • Ethik und Verantwortungswissen

  • Kommunikations- und Konfliktfähigkeit

Peter Drucker sagte: „The most important thing in communication is hearing what isn’t said.“ Das bedeutet: Menschen müssen wieder lernen, Nuancen zu erkennen. Seine Idee des Management by self‑control weist in dieselbe Richtung – Selbstführung ist Voraussetzung, um externen Kräften standzuhalten.

Prof. Dr. Rudolf Affemann, von dem ich im Rahnem einer Selbsterfahrungsgruppe viel lernen durft bringt es in seiner humanistischen Haltung auf den Punkt: Persönlichkeitsreifung ist Grundlage einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Nur so gelingt es, KI als Werkzeug zu nutzen – ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen.

5. Aufmerksamkeit statt Ablenkung – Zuhörekultur

Das Aufmerksamkeitsproblem unserer Zeit – verstärkt durch digitale Medien – verschärft sich im KI‑Zeitalter weiter. Wer sich vom Algorithmus führen lässt, verliert die Fähigkeit zum tiefen Zuhören und zum echten Verstehen. Wir brauchen daher eine Gegenkultur: Dialogfähigkeit, Verlangsamung und reflektiertes Hinhören.In einer beschleunigten Welt müssen wir Innehalten üben. „Downloading“ bedeutet Wiederholung bekannten Denkens – „Presencing“ nach Otto Scharmer erfordert Gegenwartsbewusstsein und schöpferisches Handeln. KI kann Wissen liefern – aber Weisheit muss der Mensch daraus machen. Dafür braucht es Zentren für Reifung, nicht nur Technologie.

6. Der Mensch im Zentrum: “Werde, der du bist”

Die sokratische Maxime bekommt im KI‑Kontext radikale Bedeutung: Wer bleibt Subjekt im technologischen Wandel? Der souveräne Umgang mit KI verlangt danach, sich seiner selbst bewusst zu werden. Ein erfolgreiches, erfülltes Leben mit KI ist kein rein technisches Thema – es ist eine Frage von Reife und Freiheit. „Werde, der du bist“ bedeutet in diesem Zusammenhang: Nutze KI, um deine Fähigkeiten, deine Urteilskraft und deine Haltung zu entwickeln – nicht um dich hinter Algorithmen zu verstecken.

7. Verantwortung für Demokratie und Gesellschaft

KI‑Kompetenz ist mittlerweile Teil der demokratischen Mündigkeit. Bildung muss daher breite Bevölkerungsschichten dazu befähigen. Ohne kritisches Urteil geraten Diskurse unter Druck – Polarisierung und fehlende Toleranz sind die Folgen. Wir brauchen Formate, die technologische und humane Kompetenzen verbinden.

8. Ausblick: Das KI‑Zeitalter gestalten

KI ist ein Werkzeug, keine Weltanschauung. Sie kann Gesellschaft, Mobilität, Forschung und Bildung bereichern – aber nur, wenn sie nicht zum Ersatz für Menschsein und Urteilsfähigkeit wird. Unsere Haltung entscheidet: Sehen wir KI als Werkzeug – oder als System, das uns bestimmt?

„Werde, der du bist“ bleibt zentral. Wer sein Inneres kennt, kann KI in seiner Hand behalten. Und nur eine Gesellschaft, die ihre Würde versteht, bleibt frei. Peter Drucker sagte: „The best way to predict the future is to create it.“ – Rudolf Affemann ergänzt: „Persönlichkeitsreifung ist die Grundlage jeder zukunftsfähigen Gesellschaft.“

 

 

9. Kulturelle Parallelen & Praxisformate

Wie frühere Epochen (Aufklärung, Industrielle und Digitale Revolution) fordert die KI-Transformation neue kulturelle Praktiken, Denkweisen und Haltung. Gefordert sind:

  • Lernreisen

  • Transdisziplinäre Projektarbeit

  • Dialogbasierte Leadership‑Programme

  • Ethische Rollenspiele

  • KI‑gestützte Selbstreflexionstools

So können Menschen lernen, mit Unsicherheit umzugehen, Ambiguität zu tolerieren und Verantwortung zu übernehmen.

Social Media dient uns heute als warnendes Beispiel: Diskursverflachung, Fragmentierung der Realität und Algorithmensteuerung – eine Entwicklung, die wir im KI-Kontext bewusst brechen müssen.

 

Fazit:

Die Herausforderungen der KI sind letztlich menschlich: Es geht nicht um Technik, sondern um Haltung, Reife, Verantwortung, Urteilskraft und Selbstführung. Bildung (formell wie informell) muss dies reflektieren und fördern. Nur so bleibt die KI ein Diener – und wir bleiben Subjekte.

Quellen und weiterführende Literatur:

  1. Drucker, Peter F. (1954): The Practice of Management. Harper & Row.

  2. Scharmer, C. Otto (2009): Theorie U – Von der Zukunft her führen. Carl-Auer Verlag.

  3. Nietzsche, Friedrich (1886): Jenseits von Gut und Böse, §270.

  4. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2021): Künstliche Intelligenz – Voraussetzungen und Empfehlungen für den europäischen Weg.

  5. Eigene Erfahrung aus Seminar mit Prof. Rudolf Affemann.

 


 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..